Irgendwann geht die Welt unter. Die Sonne hat eine geschätzte Lebenserwartung von 10 Milliarden Jahren. Davon sind ca 46% vorbei. Ewig haben wir also nicht mehr Zeit.
Im Buch der Bücher heißt es, dass am Ende aller Tage vier Reiter kommen werden. Krankheit, Krieg, Hunger und Tod. Vielleicht müssen die Reiter mit der Zeit gehen. Vielleicht tragen die Reiter andere Namen, wenn es soweit ist. Einer von ihnen wird aber dabei sein: Tod.
Was nun? Hat er aufgegeben? Warum so düstere Gedanken? Ja, ich höre diese Fragen in eurem Geiste, liebe Brüder und Schwestern der Weltuntergangsgemeinde. Doch nein, es ist ganz anders. Es ist nur eine philosophische Betrachtung. Wenn die Reiter der Apokalypse mit der Zeit gehen müssen, betrifft das auch den Schnitter. Auch er muss sich weiterentwickeln. Wie also sieht Tods Auftritt beim Weltuntergang aus?
Früher war alles einfach. Die Griechen hatten Thanatos. Die Römer nannten ihn Mors – Tod. Der alte Knabe war einfach ein finsterer Geselle. Passt schon. Die Germanen hatten Odin/Wodan, der gleich noch andere Rollen hatte.
Dann kam das finstere Mittelalter. Die Darstellung des Todes wandelte sich zu dem Bild, welches wir heute vom großen Gleichmacher haben. Ein Typ in schwarzem Mantel, die Kapuze überm Kopf. Sein Gesicht ist bleich, oft ist er nur ein Skelett und er trägt stets eine Sense bei sich. Aber kann er mit einem solchen Autritt heute noch punkten? Ich glaube nicht.
Bei ehrlicher und genauer Betrachtung klappt schon die Sache mit der Sense nicht. Stellt euch vor, ihr seid Tod. Tod, nicht tot. Ihr seid also Tod und habt einen Auftrag in der großen Stadt. Mit einem “Plopp” materialisiert ihr euch im Berufsverkehr in der U-Bahn. Eure Liste ist gleich um einen oder zwei Namen länger, weil eure Sense mal eben zwei Köpfe wegsäbelt. Es mag natürlich sein, dass ihr jene zwei Menschen ohnehin auf der Liste hattet, weil klar war, dass sie bei eurem Auftritt den Weg alles Irdischen gehen, aber alles in allem ist eine solche Sense hinderlich. Deshalb benutzt Tod heute eine Sense mit einklappbarem Blatt und Teleskopstiel. Dieses Werkzeug kann man auch bequem unterm Mantel am Gürtel tragen.
Aber es gibt noch ein anderes Problem. Es gibt in unserer Zeit so viele verschiedene Menschen mit so vielen verschiedenen Berufen und Interessen, dass Tod sich dem auch anpassen muss
Sagen wir, ihr seid erfolgreiche Investmentbänker. Würdet ihr einen dürren, blassen Typ in Kutte und mit einer Sense ernstnehmen? Nein, nein und nochmals nein. Der Investmenttod trägt keine Sense. Er stellt sich vor den Bänker, holt einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Mantels, öffnet einen Aktenkoffer und holt ein Papier aus dessen Innerem. “Dies ist Ihr Nachlebensverbringungskontrakt”, sagt Tod und reicht dem Bänker den Stift. “Bitte unterschreiben Sie hier, hier, hier und hier. Und hier bitte. Danke sehr. Diese Durchschrift ist für Sie. Wenn Sie mir nun folgen würden …”
Ja, der Investmenttod arbeitet mit Stift und Papier. Auch der Beamtentod gebraucht keine Sense. Er überreicht dem verblichenen Beamten eine Ernennungsurkunde zum Beamten im Nachleben.
Wenn Tod den Kleingärtner aufsucht, passt er seinen Auftritt natürlich auch den Umständen an. Der Kleingärtner mäht den Rasen schließlich nicht mehr mit der Sense. Lediglich die Rasenkanten werden mit einer modernen Version der Sense beschnitten. Tod kommt also mit einer Motorsense daher. Die Gartennachbarn hätten sicher auch etwas gegen die Hinterlassenschaften des fahlen Pferdes, auf dem der Reaper der Legende nach reitet. Nein, nein, das geht überhaupt nicht! Diese Geruchsbelästigung! Tod ist rücksichtsvoll. Er kommt auf einem Rasentraktor. Das fällt auch viel weniger auf.
Viel einfacher hat es Tod beim Systemadministrator. Tod kommt nerdmäßig ins Büro der IT, holt einen Laptop raus, startet eine Terminalemulation und tippt fröhlich auf die Tastatur. Im Terminalfenster erscheint “kill Admin”. Tod drückt auf die Entertaste und bestätigt die Sicherheitsabfrage “Sind Sie sicher? j/n” mit ja. Um sicher zu gehen, dass nicht irgendein Automatismus die Konsole bedient, kommt noch eine Captcha-Abfrage. Nachdem Tod diese Hürde genommen hat, sinkt der Administrator in seinem Sessel zusammen. Erledigt.
Noch einfacher hat Tod es beim Apple-User. Egal ob iPhone, iPad oder Mac – Tod löscht einfach den iTunes-Account und die Sache ist vorbei.
Überhaupt erleichtert die Informationstechnologie dem Schnitter die Arbeit. Facebook, Twitter, xyz-VZ – Tod muss nur für die Löschung der Nutzerkonten sorgen und es gibt den Menschen nicht mehr. Es soll schon Menschen geben, die mangels Facebookmitgliedschaft für die Mitmenschen quasi nicht mehr existieren.
Aber es gibt noch eine Gruppe, denen Tod in seinem klassischen Image erscheint: Ökobauern. Der Ökobauer will, dass alles so natürlich wie möglich ist. Deshalb nimmt Tod seine gute alte Sense, wenn er den Ökobauern holt.
Aber wie kommt Tod eigentlich zum Einsatzort? Die enfachste Möglichkeit wäre natürlich das ploppende Erscheinen. Ja, ein Plopp oder irgendein anderes Geräusch ist zwingend. Das ist simple Physik. Ein physikalisches Grundprinzip ist das Verdrängungsgesetz: Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein. Wenn Tod aus dem Nichts auftaucht, verdrängt er also schlagartig die Luft am Ort seines Erscheinens. Diese plötzliche Verdrängung von Materie erzeugt Schall. Ganz einfach.
Aber die vom Plopp begleitete Materialisierung funktioniert bestenfalls in Esoterikkreisen. In allen anderen Fällen muss der Schwarzgewandete auf herkömmliche Weise erscheinen. Aber das bringt Probleme mit sich. Stellt euch vor, er müsste nach Neukölln. Tod würde mit nahezu tödlicher Sicherheit zu spät kommen, denn er stünde entweder in der Sonnenallee oder in der Karl-Marx-Straße im Stau. Ähnlich wäre es am Kurfürstendamm. Zwar käme Tod gut durch, braucht dann aber eine halbe Stunde um einen Parkplatz zu finden. Und wenn er zu seinem Gefährt zurückkommt, klebt ein Ticket unterm Scheibenwischer, weil Tod natürlich keinen Parkschein gelöst hat. Ja, seine Arbeit ist heutzutage mit höhreren Ausgaben verbunden. Folglich muss Tod inzwischen auch Gebühren erheben, um diese Ausgaben zu refinanzieren. Auch der Tod ist nicht mehr umsonst.
Und wenn nun die Welt untergeht? Wenn Tod sieben Milliarden Seelen holen muss? Das wird ein Monsterjob. Nachdem er sich durch die Blechlawinen der auf den Autobahnen liegengebliebenen Fahrzeuge gequält hat, die Treppen 113stöckiger Wolkenkratzer hinauf und hinunter stieg, 328 und einen halben Menschen aus der Glut des Death Valley holte, sich in der Antarktis die Zehen abfror, weil die Polarforscher erst noch ihre Unterlagen sortieren wollten, um diese mitzunehmen, kippt er garantiert wie tot auf sein Sofa. Aber zumindest hat er erst einmal Ruhe. Ist ja niemand mehr auf der Erde, den er holen muss. Es sei denn, der Weltuntergang ist erst spät genug, dass die Menschen andere Welten kolonisierten. Dann muss er wieder zeitig aufstehen, um in den Kolonien seinen Dienst zu versehen.
Ach ja: Da in dieser Zukunft wohl die Macht mit den Menschen ist, kommt Tod dann natürlich mit einer Lasersense.